Das Bezirkskrankenhaus Augsburg setzt als erste psychiatrische Uniklinik in Bayern bei der Therapie auf Virtual Reality. Viele Menschen haben vor irgendetwas Angst: vor Spinnen, Schlangen, Mäusen, vor der Höhe, vor dunklen Ecken. Bei psychisch Erkrankten sind manche Phobien besonders stark ausgeprägt. Um derartige Ängste abzubauen, aber auch um Menschen mit Depression oder Suchterkrankungen zu unterstützen, setzt das Bezirkskrankenhaus (BKH) Augsburg in Kürze Virtual Reality (VR) ein. „Damit sind wir die erste psychiatrische Universitätsklinik in Bayern, die dies stationär bei schwersterkrankten Patienten anbietet“, stellt Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Alkomiet Hasan fest. Nach der Sommerpause soll es losgehen.
Wie kompliziert ein Therapieversuch sein kann, verdeutlicht Bernhard Bäuerle, Angestellter in der Ergotherapie, an einem Beispiel. Ein Patient hat massive Angst vor einer Straßenbahn- oder Busfahrt. Die Enge, die vielen Menschen und die Sorge, nicht mehr rauszukommen, verunsichern ihn zutiefst. Die Umsetzung der notwendigen Konfrontationstherapie ist dabei oft schwierig: Einerseits trauen sich Patienten die Konfrontation in der realen Umgebung noch nicht zu oder die angstauslösende Situation kann nicht simuliert werden. „Wegen des Aufwandes und knapper zeitlicher Ressourcen ist das oft schwierig. Rollenspiele und Gespräche können dabei nicht immer helfen“, erläutert Bäuerle.
Die VR-gestützte Therapie mit entsprechender Software und Brille soll da deutlich einfacher weiterhelfen. Je nach Krankheit wird ein bestimmtes Programm eingespielt. Der Patient befindet sich in einem eigens dafür eingerichteten Raum (das ehemalige BKH-Lädle) und hat die VR-Brille auf. Er soll eine Aufgabe lösen. Das Therapeutenteam leitet ihn an und gibt ihm Hilfestellung. „Wir können hier ganz konkrete Situationen anwenden und jederzeit steuernd eingreifen. Das Anwendungsspektrum umfasst ein breites Spektrum psychiatrischer Diagnosen“, erläutert die stellvertretende Leitende Psychotherapeutin Isabella Mehling.
Wer beispielsweise Höhenangst hat, kann versuchen, sich inmitten einer virtuell dargestellten Großstadt, hoch oben über den Dächern der Stadt, zu bewegen. Diese Szene wird ihm mit Hilfe der VR-Brille dargestellt. Ähnliches gilt für Fahrten mit dem Aufzug. Auch die können mittels VR-Brille detailgetreu und ganz nahe an der Wirklichkeit durchgespielt werden – mit dem Gang zur Aufzugstür, dem Drücken des Knopfes für die gewünschte Fahrtrichtung, dem Einsteigen, Hochfahren, Aussteigen und dem anschließenden Herunterfahren. Auch Interaktionen mit virtuellen Avataren zum Eintrainieren sozialer Fertigkeiten, beispielsweise in einer Vortragssituation, sind möglich. Ebenso vorhanden sind virtuelle Situationen, die im realen Leben mit einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit für suchterkrankte Menschen verbunden sind; in diesen Szenarien trainieren Patienten alternative Verhaltensweisen zum Konsum ein.
Bäuerle, Mehling sowie das gesamte Team des Psychologischen Dienstes, zu dem auch Dr. Ruth von Hammerstein gehört, sind begeistert, wie gut das alles funktioniert. „Unter Kollegen haben wir das bereits ausgiebig getestet“, verrät Isabella Mehling. Alle sind gespannt und neugierig auf den Start. „Wir sind in der Trainingsphase und machen gerade das Therapeutenteam mit dem System vertraut.“
Mehling hatte bei einem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin den Anbieter des VR-Systems, Michael Altenhofer, kennengelernt. Er ist Geschäftsführer der österreichischen Firma VR Coach GmbH mit Sitz in Werfenweng bei Salzburg, welche auch eine deutsche Niederlassung in Freilassing hat.
Als der Kontakt geknüpft war, ging es darum, einen langen gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen. Denn im BKH Augsburg werden bereits seit knapp 15 Jahren E-Mental-Health-Applikationen angewendet und der Einsatz von VR diskutiert. Ärztlicher Direktor Prof. Hasan, der die Klinik seit 2020 leitet, war sogleich überzeugt und der Vorstand der Bezirkskliniken Schwaben gab das Budget dafür frei. Damit war der Stein ins Rollen gebracht.
Laut Mehling soll die Indikation für VR-Therapie im Rahmen der psychotherapeutischen Sprechstunden festgestellt werden und in die Einzelpsychotherapie eingebunden werden. Auch in Gruppentherapien ist der Einsatz möglich. „Wir wollen es einsetzen, wann immer es sich sinnvoll anbietet“, so die BKH-Mitarbeiterin. Das Spektrum sei sehr breit, ergänzt Firmenvertreter Altenhofer. Mit dem System stellen wir Kliniken eine hocheffektive und wirksame Behandlungsform zur Verfügung, die eine große Themenvielfalt an Expositionsszenarien bietet. Durch zusätzlich verfügbare Entspannungsszenarien könnten auch immobile oder untergebrachte Patienten profitieren. So können Filme von Sonnenaufgängen oder Waldspaziergängen zur Entspannung gezeigt werden, ohne dass Patienten die Station oder Klinik verlassen müssen. „Unserer Erfahrung nach werden sie so ruhiger und gelassener“, sagt der Anbieter des VR-Systems.